Schulleiterin Nadine Hörler aus Berlingen ist es ein zentrales Anliegen, dass die Schülerinnen und Schüler mit allen Bevölkerungsgruppen in Kontakt kommen. ⋌Werner Lenzin
24.02.2025 00:00
Kindern auch in der Schule die Krankheit Demenz näherbringen
Würdevolles Leben mit Demenz im Thurgau
Im dritten Jahr der kantonalen Sensibilisierungs-Kampagne, die von der terzStiftung durchgeführt wird, lautet das Thema «Demenz aus der Sicht der Enkelkinder». In diesem Zusammenhang führten wir ein Gespräch mit Nadine Hörler, Schulleiterin in Berlingen.
Nadine Hörler, ist es aus Ihrer Sicht als Schulleiterin sinnvoll, dieses Thema mit den Kindern des Zyklus eins und zwei zu behandeln?
Insbesondere wenn das Thema an die Erfahrungswelt der Kinder anknüpft, macht es Sinn, dieses Thema zu behandeln. Die Grosseltern sind für die Kinder wichtige Bezugspersonen und insbesondere die kleineren Kinder berichten von ihnen, dies, ohne ihre Gebrechen oder Krankheiten wahrzunehmen. Viele von ihnen pflegen einen engen Kontakt zu den Grosseltern und nehmen Veränderungen durchaus wahr. Eine altersgerechte Herangehensweise soll sie von Ängsten befreien und die Empathie fördern.
Wie hat sich die Demenz-Erkrankung eines Grosselternteils auf das Kind ausgewirkt?
Die Kinder berichten darüber, was sie mit ihren Grosseltern erleben und übernehmen Strategien, wie beispielsweise deutliches und langsameres Reden, sehr gut. Grundsätzlich erlebe ich die Kinder als überaus anpassungsfähig. Für sie ist es normal, dass man sich anpasst und sich auf das Gegenüber einstellt. Diese Fähigkeit sollten wir Erwachsenen zum Beispiel übernehmen.
Wie ich es erlebe, sind wir oft verkopft, trauern dem nach, was einmal war, machen uns viele Gedanken über die Zukunft und streben Veränderungen an, wobei wir Mühe bekunden etwas anzunehmen. Weiter bietet sich der Enkelgeneration die Chance, nicht Tochter oder Sohn sein zu müssen und nicht dieselbe Verantwortung zu tragen. Diese Situation empfand ich beim Zusammensein mit meiner eigenen dementen Grossmutter als entlastend und ich schätzte es, mit ihr «nur» in den alten Geschichten zu verweilen.
Die terzStiftung bietet den Thurgauer Schulen Lektionen zum Thema Demenz an. Entsprechen diese den Grundsätzen des Lehrplans 21?
Diese Lektionen lassen sich gut in den Lehrplan 21 integrieren. Dies insbesondere in den Bereichen Ethik, Gemeinschaft, Identität und persönliche Entwicklung. Sie fördern nicht nur das soziale Lernen der Kinder, sondern sorgen auch für das Verstehen von Alterungsprozessen und das Entwickeln von Empathie. Allenfalls könnte die Krankheit Demenz etwas aus dem Fokus genommen werden und eher generell das Älterwerden, verschiedene Krankheiten oder Veränderungen bei den Grosseltern in den Fokus rücken. Mir und meinem Team ist es ein zentrales Anliegen, dass die Schülerinnen und Schüler unserer Schule lernen, offen ihren Mitmenschen gegenüber zu begegnen, egal ob diese jung oder alt sind. Unsere Dorfschule verankert dabei sechs Werte in ihrem Leitbild: Beziehungen pflegen, Entfaltung fördern, Begeisterung entfachen, Wertschätzung leben, Respekt zeigen und Verantwortung tragen. Diese Werte passen meines Erachtens gut zur Thematik Demenz-Erkrankung. Jeder Kontakt mit älteren Menschen ist für unsere Kinder eine wertvolle Bereicherung.
Wie stufen Sie die Wichtigkeit einer solchen Lektion für die Kinder des Zyklus eins und zwei ein?
Im Zentrum stehen hier die eigene Erfahrung und die aktuelle Lebensrealität. Wenn die Kinder in der Familie oder in ihrem Umfeld mit Demenz in Berührung kommen, kann eine solche Lektion äusserst wertvoll sein. Andere Kinder wiederum werden sich in der gleichen Lektion eher mit dem Älterwerden sowie mit dem Früher und dem Heute auseinandersetzen. Wichtig ist mir, dass es uns gelingt, einen Zugang zum Thema zu schaffen. Dies ist umso wichtiger, da wir in Berlingen mit den Bewohnerinnen und Bewohnern des Tertianums regelmässige Kontakte pflegen. Diese haben uns letztes Jahr auch mit einem Besuch unseres Dorfcafés beehrt.
Ein Lehrmittel für diese Lektion ist das Kinderbuch der Autorin Katrin Hofer Weber «Anna mag Oma und Oma mag Äpfel». Wie beurteilen Sie dieses Lehrmittel für den Einsatz anlässlich einer Lektion?
Bestimmt sind Bilderbücher eine wunderbare Möglichkeit, um Kindern auf sanfte Weise Themen zu vermitteln und als Gesprächsgrundlage zu dienen. Wichtig ist es, die momentane Lebenssituation der Kinder aufzugreifen und es gilt hier alle Optionen offen zu lassen. Eine Schule sollte über Bücher, welche die Vielfalt der Lebensumstände oder der Gesellschaft thematisieren, verfügen. Dies gewährleistet, dass individuell auf das Kind eingegangen wird und es sich für ein Buch entscheiden kann, das seiner momentanen Situation entspricht.
Am Samstag, 3. Mai findet im Weinfelder Thurgauerhof eine Veranstaltung für Kinder, Eltern und Grosseltern zum Thema Demenz statt. Mitwirkende sind der Kinderliedermacher Andrew Bond und die Autorin, welche die Geschichte von «Anna» erzählt. Wie beurteilen Sie aus didaktischen Überlegungen diesen intergenerativen und auch empathischen Ansatz, dieses Thema den Kindern zu vermitteln.
Intergenerative Begegnungen fördern das Verständnis zwischen Generationen und sind deshalb sehr wertvoll. Zudem bilden Musik und Geschichten niederschwellige und emotionale Zugänge, um den Kindern das Thema ohne jeglichen Druck näherzubringen. Mit dieser Veranstaltung wird es bestimmt gelingen, dazu einen Beitrag zu leisten, dass die Kinder dem Thema Demenz offen begegnen.
Anmeldung: www.demenz-terzstiftung.ch
Interview: Werner Lenzin