04.04.2025 00:00
Wenn eine Sammelaktion zum Müllproblem wird
Dubiose Ungaren unterwegs in der Region – Betroffene erzählt von den Geschehnissen
Im Briefkasten einer Altnauerin lag vor wenigen Tagen ein Flyer, der für eine Sammelaktion für Ungarn warb. Wer etwas entbehren könne – egal was – solle sich telefonisch melden. Die Frau wollte ausmisten und gleichzeitig etwas Gutes tun. Sie griff zum Hörer – und leitete damit eine Kette von Ereignissen ein, die sie so schnell nicht vergessen wird.
Altnau Einen Tag nach der telefonischen Kontaktaufnahme fuhr ein Lieferwagen mit ungarischem Kennzeichen vor dem Haus der Altnauerin vor. Zwei Männer und eine Frau stiegen aus. Sie wirkten freundlich, unkompliziert, dankbar. Der «Chef» der Gruppe meinte, die Kinder in Ungarn würden sich bestimmt über die gespendete Tischtennisplatte samt Schläger und Bälle freuen.
Der Transporter sei bereits fast voll, erklärten die «Sammler» und fragten, ob sie die bereits eingeladene Ware vor dem Haus abladen dürften, um das Fahrzeug besser umzupacken. «Sie spielten quasi Tetris im Lastwagen mit all den Velos, Kleidern, Schuhen und Kaffeemaschinen, die sie schon vorher eingesammelt hatten», erinnert sich die Betroffene.
Nach drei Stunden hiess es, ein Teil ihrer Güter sei nun verladen, aber nicht alles habe Platz gefunden. «Wir verneinten, aber er flehte uns förmlich an – mit betenden Händen, dass es keine andere Lösung gäbe, als die restlichen Sachen über das Wochenende vor unserem Haus zu lagern. Am Montag würden sie garantiert wiederkommen», erzählt sie. Die Vorstellung, die Gegenstände einfach im Freien stehenzulassen, war keine Option für sie. Doch auch dafür hatte der Ungar eine Idee.
«Im Nachhinein kann ich nicht mehr nachvollziehen, warum ich zugestimmt habe», sagt sie. Nach langem Hin und Her nahm sie seinen Vorschlag an, die verbliebenen Stücke über Nacht in einem kleinen Stauraum neben dem Haus unterzubringen. Bevor sie abfuhren, baten die drei noch um Wasser, etwas zu essen – und schliesslich auch um Geld. Die Frau reichte ihnen drei Flaschen Wasser, Früchte und gab ihnen 20 Euro. «Ich wollte einfach helfen», sagt sie heute. «Doch am Ende blieb ich auf allem sitzen.»
Geld für kaputtes Auto
Denn der versprochene Rückbesuch fand nicht statt. Stattdessen blieben schmutzige Matratzen und Kissen, vergammelte Kleider, defekte Maschinen und kaputte Möbel zurück. Natürlich kamen sie am Montag nicht zurück, um den «Müll» abzuholen. Am Telefon hiess es, man sei bereits in Ungarn, das Fahrzeug sei kaputt, ob sie Geld für die Reparatur schicken könne - nur dann könnten sie die Waren wieder abholen. Als die Frau das ablehnte, wurde der Kontakt abgebrochen.
Erst eine Freundin, die sich bei den «Sammlern» telefonisch als neue Spenderin ausgab und vermeintlich hochwertige Güter wie Laptops und E-Bikes anbot, lockte den Mann erneut ans Telefon. Plötzlich war er wieder «in der Region». Auf erneute Nachfrage der betroffenen Anwohnerin war er dann plötzlich wieder «in Ungarn». Erst als sie mit einer Anzeige bei der Polizei drohte, versprach er, die Ware am Folgetag abzuholen. Tatsächlich erschien das Trio – allerdings nicht zur vereinbarten Uhrzeit, sondern mit deutlicher Verspätung. Die Stimmung war nun merklich unterkühlt. Ohne ein Wort der Entschuldigung oder des Dankes luden sie die liegengebliebenen Gegenstände ein – und fuhren davon.
Ähnliche Fälle im 2021
Die Gemeinde Altnau wurde durch die Vorfälle überrascht. Eine offizielle Bewilligung für die Sammlung liegt nicht vor, und auch weitere Meldungen seien bislang nicht eingegangen. Zuständig für solche Bewilligungen ist der Kanton. Dieser verlangt für jede öffentliche Sammlung von Sachgütern eine Genehmigung – ein Instrument, das eigentlich genau solche fragwürdigen Aktionen verhindern soll.
Auf Anfrage bestätigt auch die Kantonspolizei Thurgau, dass in diesem Jahr keine gleich gelagerten Fälle registriert wurden. Im Jahr 2021 jedoch seien vermehrt Meldungen zu solchen Flyern aus verschiedenen Gemeinden eingegangen. Man rate der Bevölkerung zu Vorsicht und einer gesunden Portion Misstrauen. Verdächtige Feststellungen sollten direkt via Notrufnummer 117 gemeldet werden.
Hinzu kommt: Der Transport von Waren mit ausländischen Fahrzeugen unterliegt in der Schweiz klaren Regeln. Gewerbliche Binnentransporte mit in der Schweiz unverzollten Fahrzeugen – sogenannte Kabotage – sind grundsätzlich verboten. «Ausnahmen sind nur in wenigen Fällen möglich und erfordern in der Regel eine vorgängig einzuholende Bewilligung», erklärt Tabea Rüdin, Mediensprecherin beim Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit. Andernfalls müsse das Fahrzeug verzollt, versteuert und mit schweizerischen Kontrollschildern versehen werden. Die Zulassung falle in den Zuständigkeitsbereich der kantonalen Behörden.
Pro Schule Ost warnt
Thomas Schäfli von Pro Schule Ost warnt vor unseriösen Spendensammlungen, die sich auf Hilfsaktionen im Ausland berufen. Besonders dann, wenn Flyer keine Angaben zu Partnerorganisationen vor Ort enthalten oder auf eine Webseite verweisen, sei Vorsicht geboten. «Man sollte genau hinschauen und Fragen stellen, bevor man sich auf solche Spendensammler einlässt», rät Schäfli.
Im konkreten Fall bleibt ein schaler Nachgeschmack. Die betroffene Frau aus Altnau wurde in gutem Glauben ausgenutzt – als Spenderin, Zwischenlager und Müllentsorgerin. Dass sie am Ende doch noch eine Abholung der ungewollten Reste erreichte, ist eher ihrer Hartnäckigkeit zu verdanken als dem guten Willen der Abholenden. Bleibt zu hoffen, dass diese Erfahrung anderen eine Warnung ist. Denn bei aller Bereitschaft zu helfen gilt: Wer anonym auftritt, keine Genehmigung vorweisen kann und im Nachgang um Geld bittet, hat meist kein soziales Anliegen – sondern ein ganz eigenes Interesse.
Desirée Müller