Biggi Keller kümmert sich um über 100 Reptilien, Schlangen und Fische.
26.09.2024 07:44
Haus, Tierheim und Zoo unter einem Dach
Der Verein Aqua Terra-Herz steht vor dem Aus. Immer mehr Tiere werden abgegeben, doch die Finanzen reichen nicht für personelle Unterstützung
Die Mitgründerin Biggi Keller zeigt uns ihr Reich, das gleichzeitig das von über 100 Reptilien,
Bussnang «Achtung Kopf», warnt Biggi und zeigt zur Decke. Ihr Zuhause ist verwinkelt. Eigentlich kann nicht von «ihrem» Zuhause die Rede sein, sondern das von über hundert Reptilien und Fischen. «Das ist mein Raum», sagt sie und öffnet die Tür zu einem kleinen Zimmer mit einem Bett und einem Hometrainer drin. Biggi hat ihre Ansprüche bis aufs Minimum herruntergeschraubt. Das Sofa wich einem riesigen Terrarium, der Fernseher
einem Aquarium und ausser eben diesem kleinen Raum gleicht das Haus mehr einem Zoo. Die Dutzenden
von Scheiben, aus denen einem Schlangen, Geckos oder Fische neugierig beobachten, sind blitz blank geputzt. Alle Wasser und Futtergefässe aufs reinlichste gesäubert, die Luft frisch und keineswegs muffig von all dem Getier. Biggi Keller kann auf vier Freiwillige Helfer zählen, welche zweimal die Woche bei der Reinigung mithelfen.
Das «daily business» bleibt aber an Biggi hängen. Die Führung durch ihre Wohnung zeigt, wie gross das Fachwissen von der einstigen Gastronomin ist. Zu jedem der Tiere hat sie eine Geschichte zu erzählen, erklärt,
warum der Rücken vom Wels gekrümmt ist, wieso die Guppys bei ihr ein vorübergehendes Zuhause gefunden haben und weshalb die Schlange grade ihre Menstruation hat. «Einige Schlangen wollen während der Häutung nichts mit der Welt zu tun haben, sind grantig und wollen ihre Ruhe. So wie wir Frauen, wenn wir unsere Tage haben», sagt Biggi und lacht.
Kostenlose Beratung
Das Telefon klingelt. Sie rufe später zurück. Nach dem dritten Versuch nimmt sie ab. Es sei quasi ein Code: Wer dreimal versucht, sie innert kurzer Zeit zu erreichen, hat einen Notfall. Wird ein ausgesetztes Tier gefunden, ein Reptil vom Veterinäramt beschlagnahmt oder ein Fischhalter macht sich Sorgen, weil sich einer plötzlich ungewohnt verhält. Bis zu fünf Stunden täglich berät Biggi Keller die Anrufenden. Und dies kostenlos. Sie freue sich von denen, die einen Batzen aufbringen können, über eine Spende für AquaTerra-Herz. Doch alle sollten die Möglichkeit haben, sich Hilfe bei Problemen mit ihren Reptilien, Schlangen und Fischen zu holen. Obwohl Biggi
müde ist, sieht man es ihr nicht an. Nicht nur das Versorgen all der Tiere, sondern auch die finanzielle Lage des Vereins sind Kräfte zerrend. Biggi ist mit einem 30-Prozent-Pensum beim Verein angestellt. 20 Prozent arbeitet sie in einer Tierbedarfshandlung und die restliche Zeit ist ehrenamtliche Arbeit. Alleine die Tierpflege füllt aber schon einen ganzen Arbeitstag.
Kosten explodieren
Immer mehr Tiere werden bei ihr aus den verschiedensten Gründen abgegeben. Der Umzug in eine neue, kleinere Wohnung, eine Erkrankung oder finanzielle Probleme zwingen die Halter, ihre Tiere abzugeben. Andere sind überfordert mit den hohen Ansprüchen der empfindlichen Arten. Bei denen schlage aber oftmals die Beratung an und dank ihrer Begleitung, können die Besitzerinnen und die Besitzer ihre Lieblinge behalten. 140 Franken kostet es, eines oder mehrere Tiere abzugeben. Man bezahle pro Terrarium, nicht pro Tier. Allein die Laborkosten, um allfällige Krankheiten auszuschliessen, betragen 60 Franken. Durchschnittlich bleibt ein Tier ein halbes Jahr bei Biggi, bis sie es vermitteln kann. Die Futterkosten und der Unterhalt übersteigen den Abgabepreis merklich. Somit macht das Tierheim Jahr für Jahr ein Minus. Nur dank Spenden und einem Beitrag des Tierschutzvereins Weinfelden, kann AquaTerra-Herz überleben. Mitarbeiter dringend nötig Doch nun wird es brenzlig. Um mit der Arbeit nachzukommen, braucht es eine Festanstellung. Allein die Administration benötigt enorm viel Zeit – und Biggi könne sich nun mal nicht zweiteilen. Die Kosten mit den Spenden zu decken, ist nicht möglich. Dazu sind diese variabel. Wenn sich keine Lösung bis Ende Jahr findet, wird der Verein nicht überleben können. AquaTerra-Herz würde die Tiere so lange beherbergen, bis jedes ein neues Zuhause gefunden hat. Doch
dieses Szenario möchte sie sich gar nicht vorstellen. Was mit all den Findlingen und abgegebenen Tieren passieren würde, wenn es Aqua-Terra-Herz nicht mehr gebe, kann sie nicht beantworten. Die wenigsten
Tierheime in der Schweiz nehmen Reptilien und Schlangen auf. Das nötige Wissen ist nebst der speziellen
Haltebedingungen so gross, dass die Kompetenz fehlt. Nun ist der Verein auf der Suche nach Sponsoren.
Bestenfalls mit einem längerfristigen Vertrag.
Projekt zur Geldgewinnung
«Es wäre auch wunderschön, wenn sich eine Gruppe Tierfreunde zusammentut und jede und jeder im Monat einen kleinen Betrag spendet.» An Ideen für weitere Einnahmequellen fehlt es nicht. So wurde sie von verschiedenen öffentlichen Stellen angefragt, Schulungen mit dem Umgang der Exoten zu geben. «Doch mir fehlt die Zeit, ein Konzept und Unterlagen zu erarbeiten.» Sie brauche einfach einen Moment Pause vom Alltag – keinen finanzieller Druck, einfach nur Zeit, um neue Projekte umzusetzen, welche das Überleben des Vereins sichern würden. Das Funkeln in ihren Augen verrät, dass Biggi so ziemlich alles dafür tun würde, um diesen
zu retten.
Infos: www.aquaterra-herz.ch
Von Desirée Müller