Islamische Grabfelder in Weinfelden - ja oder nein?
Eine Debatte um islamische Grabfelder in Weinfelden tobt. Ein muslimischer Bestatter, ein betroffener Moslem, Vertreter von Religionsverbänden und die Pro- und Nein-Komitees kommen zu Wort.
Eine Debatte um islamische Grabfelder in Weinfelden tobt. Ein muslimischer Bestatter, ein betroffener Moslem, Vertreter von Religionsverbänden und die Pro- und Nein-Komitees kommen zu Wort.
Region Die NZZ, der Tagi und alle Regiomedien berichten darüber. Die Vorgeschichte der Gräber-Debatte in Weinfelden ist mittlerweile bekannt: Eine Gruppe von Weinfeldern stellt sich gegen das angepasste Friedhofsreglement, welches besagt, dass ein Grabfeld für Bürgerinnen und Bürger islamischen Glaubens zur Verfügung steht. Innert Frist sammelte das Nein Komitee fast 1000 Unterschriften, am 18. Mai kommt die Petition vors Volk. «Bist du ein Migros- oder ein Coop- Kind?» Auch in der Gräber-Debatte gibt es scheinbar nur eine Antwortmöglichkeit. Für oder gegen das Grabfeld für Moslems? Beide Komitees bringen vernünftige Argumente vor. «Es tut ja keinem weh, wenn einige Gräber nach Mekka zeigen», hört man. «Friedhöfe sollen neutral sein», sagen andere. Wir haben das Thema aus verschiedenen Blickwinkeln aus angeschaut.
Seit 14 Jahren führt Hamaz Sahbaz ein schweizweit tätiges Bestattungsinstitut, das sich auch im Thurgau für die Beisetzungen von muslimischen Verstorbenen spezialisiert hat. «Von rund 500 Moslems wünschen nur etwa zehn Prozent zu Lebzeiten, in der Schweiz bestattet zu werden», erzählt der 38-jährige. Jährlich organisiert der Bestatter somit über 400 Rückführungen in ihre Heimatländer. «Doch das wird sich in den nächsten Jahren ändern.» Die Moslems, die in der Schweiz zur Welt kamen und hier aufwuchsen, möchten auch in der Schweiz ihre letzte Ruhe finden. «In den grösseren Kantonen gibt es darum immer häufiger islamische Grabfelder», weiss Hamaz Sahbaz. Doch vielerorts haben nur Verstorbene aus der Wohngemeinde das Anrecht auf eine Bestattung. Und dann gegen hohe Aufpreise. «Somit wird immer noch ein Bruchteil der Moslems nach ihrer Tradition bestattet.» Bisher machte der Schweizer mit türkischen Wurzeln gute Erfahrungen mit den Gemeinden. «Die Verantwortlichen der Bestattungsämter sind sehr hilfsbereit, offen und ermöglichen meist die Waschung nach islamischem Ritual.» Nebst dieser Zeremonie besagt der islamische Glaube, dass die rechte Schulter des Toten Richtung Südosten, gegen Mekka gerichtet ist. «Wir haben den Verstorbenen auch umgekehrt eingesargt, sprich der Grabstein war in der Reihe mit den bestehenden, doch der Körper lag andersrum im Sarg.» Eine Lösung finde sich meistens. So auch bei der ewigen Grabruhe, welche nicht nur beim jüdischen Glauben sondern auch im Islam praktiziert wird. «Die sterblichen Überreste werden oftmals exhumiert und ins Heimatland überführt.» Auch ältere Generationen, welche die Verstorbenen in der Schweiz bestatten liessen und im Alter wieder «nach Hause» gehen, möchten die Überreste überführen lassen.
Die Prozedur beginnt aber bereits viel früher, und zwar in den Spitälern oder Pflegeeinrichtungen, wenn ein Moslem verstirbt. Hier fehle oftmals das Wissen des Pflegepersonals. Sahbaz hielt in fast allen Kantonsspitälern Vorträge über die Vorgehensweise nach dem Tod eines Moslems. «Egal ob Ehepartner, Eltern, Nachbarn oder Bekannte – sie alle möchten nach dem Tod sofort zu dem Verstorbenen. Dies endete oft im Chaos auf der Station. Das Personal war verständlicherweise überfordert mit der Situation.» Sahbaz ist vielmals auch vor Ort und koordiniert die Abläufe. «Im Islam muss der Verstorbene innert 24 Stunden bestattet sein. Dies ist in der Schweiz nicht möglich und auch die Überführung dauert länger». Er sei hier jeweils der Vermittler und kläre die Angehörigen über die Regelungen in der Schweiz auf.
Der Fall in Weinfelden verwundert ihn nicht. Die Islamophobie sei seit 9/11 scheinbar omnipräsent. «Diejenigen, die sich in ihrer Wohngemeinde bestatten lassen möchten, sind hier geboren, aufgewachsen und haben hier auch ihre Familien. Sie sind einfach nur ‘normale’ Schweizer. Einzig der Glaube unterscheidet sie.» So verschieden sei dieser aber gar nicht. Eine weitere Angst der Gegnern muslimischer Grabfelder sei, dass die Gräber nicht gepflegt werden. «Die Gräber im Islam werden der Natur überlassen. Eine adäquate Grabpflege kennt die Religion nicht. Umso wichtiger ist es, dass es in den Friedhofsreglementen klar formuliert ist, dass es Sache der Angehörigen ist, dass das Grab angemessen gepflegt ist.» Er empfiehlt diesen bei der Beratung stets, die Aufgabe dem Friedhofsgärtner zu übertragen. «Man muss sich auch als Moslem an die Gepflogenheiten in der Schweiz halten». Mal andersherum In streng islamischen Ländern wie Afghanistan, Pakistan, Algerien oder arabischen Ländern sei eine nicht islamische Bestattung seiner Meinung nach fast ein Ding der Unmöglichkeit. «Die würden für uns auch nicht extra Grabfelder schaffen», hört man seitens der Gegner. Dies bestätigt der Bestatter und versteht auch ihr Argument. «In der Türkei, Albanien oder Nordmazedonien sieht es anders aus. Es gibt christliche Friedhöfe und auch eine Bestattung auf einem islamischen Friedhof nach westlicher Tradition ist oftmals kein Problem.» Einem 80-Jährigen müsse man die Offenheit gegenüber anderen Religionen nicht mehr beibringen wollen. «Doch die jüngere Generation wird auch in den islamischen Ländern lockerer.»
«Mich wundert es nicht, dass das Nein-Komitee innert Kürze so viele Unterschriften sammeln konnte», sagt Mirsad Redzepagic. «Die Haltung gegenüber dem Islam bei vielen verhalten.» Sein Bruder verstarb während der Pandemie bei einem Arbeitsunfall. Hier geboren und aufgewachsen, Schweizer durch und durch. «Wir standen da und wusste nicht, was wir tun sollten», so der gebürtige Bürgler. Der frühe, unerwartete Tod setzte die Familie unter Schock. «Wir hatten die Wahl, ihn in Weinfelden oder Bürglen beizusetzen. Die Möglichkeit meinen Bruder in einer Gemeinde mit muslimischen Grabfeldern zu bestatten, gab es nicht.» Der Verstorbene war praktizierender Moslem. Umso schwieriger war es für die Familie, ihn nicht nach islamischer Tradition bestatten zu lassen. Im Wissen, dass die Beisetzung nicht in seinem Sinne war. Immerhin kam ihnen die Stadt Weinfelden entgegen. Redzepagic ist dem Leiter des Einwohneramts, Roger Häfner, trotzdem immer noch sehr dankbar für seinen Einsatz. Gemeinsam mit einem Imam versuchte er, möglichst auf die Wünsche der Angehörigen einzugehen. Trotz Corona konnte ein Familienmitglied bei der rituellen Waschung dabei sein und die Bestattung konnte wie im islamischen Glauben üblich innert Kürze veranlasst werden. Und die Familie hatte Glück. Mit einem Auge könne sein Bruder sogar Richtung Mekka blicken. «Trotzdem, es fühlt sich falsch an.» Er schweigt einen Moment: «Wie viele Generationen lang musst du hier leben, um Schweizer zu sein?», fragt er. «Ich kenne meine Wurzeln gar nicht genau. Ich bin hier Zuhause.» Somit gebe es für ihn kein Grund, nur wegen der Religion die Schweiz nach seinem Tod zu verlassen. Nicht nur die spürbare Angst vor dem Islam beschäftigt ihn. «In manchen Schulen dürfen keine Weihnachtslieder mehr gesungen werden, Kreuze werden abgehängt. Neutralität in Sachen Religion um jeden Preis.» Er hofft, dass Weinfelden aus seiner Sicht richtig entscheidet.
Die Jüdische Gemeinschaft macht es einem einfach. Sie hat ihre eigenen Friedhöfe. Eine Option für Moslems? «Theoretisch wäre es denkbar, wie die jüdische Gemeinschaft private Friedhöfe zu errichten. Aus religiösen Gründen spricht nichts dagegen», sagt Adem Kujovic, Generalsekretär des Dachverbands islamischer Gemeinden der Ostschweiz und des Fürstentums Liechtenstein. Die praktische Umsetzung dürfte schwierig werden. Einerseits sei es fraglich, ob ein Stück Land für solch einen Zweck gefunden werden könne, andererseits würde die muslimische Gemeinschaft rasch an ihre finanziellen Grenzen kommen. «Für die Hinterbliebenen würde es zudem eine Belastung darstellen, ihre Verstorbenen irgendwo in der Schweiz zu besuchen», so Kujovic weiter. Es sei üblich, die Verstorbenen an bestimmten Tagen auf dem Friedhof zu besuchen. Deshalb wären regionale Lösungen zu bevorzugen. «Ferner besteht aus religiösen Gründen keine Notwendigkeit nach einem privaten Friedhof, mit einem Abschnitt im Gemeindefriedhof könnten die religiösen Riten gut umgesetzt werden. Die Gemeinsamkeiten der islamischen und christlichen Bestattungstraditionen überwiegen die Unterschiede, in der praktischen Umsetzung gibt es keine Probleme.» Zudem seien es die Gemeinden, die für die Bestattung aller Einwohner zu sorgen hätten. «Wir erarbeiten mit den Gemeinden, was es braucht, damit auch die muslimische Bevölkerung nicht mehr weiter ausgeschlossen wird, sondern in den Gemeindefriedhof integriert werden kann und unterstützen somit die Gemeinden in ihrer Aufgabe allen Menschen eine Bestattung zu ermöglichen, welche ihre Würde, Religions- und Kultusfreiheit wahrt.»
Öndes Günes ist der Präsident der Föderation Islamischer Dachorganisationen Schweiz (FIDS). «Die jüdische Gemeinschaft hat unseres Wissens vor sehr langer Zeit vorsorglich eigene Felder für ihre Bestattungen gekauft», so Günes. Wie Adem Kujovic sieht er in der Umsetzung von muslimischen Friedhöfen Schwierigkeiten: «Zum Einen würden wieder kritische Stimmen laut, dass Muslime ein 'separates Zügli' fahren wollen und nicht mit anderen Religionsangehörigen zusammen begraben werden möchten.» Zum Anderen sei der Bedarf nach muslimischen Grabfeldern in sehr vielen Gemeinden zwar vorhanden, es sei aber schwierig, zu beschliessen, in welchen Gemeinden denn Land zu diesem Zweck gekauft werden soll und wo nicht. Stimmen würden laut, dass jede Glaubensgemeinschaft kommen kann mit ihren Wünschen, wenn Muslime ein ‘Sonderrecht’ erhalten. Ein Präzedenzfall würde geschaffen. Beim Gespräch mit den Dachverbänden der Juden, Buddhisten und Hinduisten wird klar, dass es zumindest bei den Weltreligionen keinen Bedarf nach speziellen Riten bei der Bestattung gibt. Markus Schär vom Nein-Komitee sagt, dass «es aber kein Argument ist, dass andere Religionen nichts gegen Sonderregeln für Muslime haben. Der Grundsatz ist: Auf dem kommunalen Friedhof darf es keine religiösen Sonderregeln, insbesondere keine Abgrenzungen geben». Ein rein islamischer Friedhof wäre aus Sicht von Schär eine gute Variante: «Wie wir wissen, gibt es Glaubensgemeinschaften, die sich nicht an die säkularen Regeln halten können, wie die Juden, die auf ewiger Totenruhe bestehen. Sie führen deshalb seit Jahrhunderten eigene Friedhöfe. Das müssten nach unserer Meinung auch die strenggläubigen Muslime so halten, die nicht in durch Ungläubige verunreinigter Erde liegen wollen – nach unserer Einschätzung eine kleine Minderheit, da die Albaner und Kosovaren zumeist säkular sind.» Es gebe im Thurgau auch immer noch rein katholische oder reformierte Friedhöfe. «Gegen solche religiösen Sonderregeln ist nichts einzuwenden – aber auf dem kommunalen Friedhof, wo wir als Einwohner und nicht als Gläubige liegen, darf es sie nicht geben.»
Aus Sicht des Pro-Komitees bestehend aus Angela Testa, Simon Engeli und Alexandra Beck ist die Idee eines eigenen kantonalen Friedhofs befremdlich. «Es widerspricht den Argumenten, welche die Referendumsführer als Kritik anführen: Erstens schafft es eine weitere Ausgrenzung, statt zu integrieren, und dadurch erst recht 'Sondergräber'.» Zweitens widerspreche es dem Argument, dass das Friedhofswesen eine kommunale Angelegenheit sei und alle Menschen unabhängig ihrer Herkunft oder religiösen Ausrichtung auf dem gemeinsamen Friedhof eine letzte Ruhestätte finden.
Von Desirée Müller
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