16.10.2025 08:00
Wahlkampf der Unterschiede
Lukas Madörin und René Ramseier wollen beide Nachfolger des frühzeitig abtretenden Stadtrats Hans Eschenmoser werden
Zwei Menschen, zwei Kandidaten unterschiedlicher könnten sie nicht sein. Von der Statur bis zum Denken: zwei komplett verschiedene Geister begegnen sich in den nächsten Wochen im Wahlkampf um den Sitz im Stadtrat. Lukas Madörin (EDU): Der Impulsive, pragmatische, feinfühlige, oftmals missverstandene. René Ramseier (SVP): der besonnene, überlegte Fels in der Brandung.
Weinfelden Lukas Madörin hat Tränen in den Augen, wenn er von seinen Kindern erzählt, kann kaum stillsitzen. In seinem Kopf ist er schon x Schritte weiter. Sein Kontrahent ändert seine Pose während des Interviews kaum, sitzt mit stoischer Ruhe da, zieht ab und zu eine Augenbraue hoch, um eine Aussage zu unterstreichen. Weinfelden hat die Wahl. Lukas Madörin kennt man. Wer hat nicht schon mal Gemüse bei ihm gekauft oder eine Suppe gegessen. Er ist volksnah, seine Türen sind – nicht nur sinnbildlich – immer offen. Wie oft war er schon Seelsorger für seine Kundschaft. Auch wenn sich ein Teil nach seinem Engagement im Abstimmungskampf um die muslimischen Grabfelder zurückgezogen hat. Dem Gemüsehändler des Vertrauens wurde während der Abstimmung oft seine Liebe zu den Menschen abgesprochen. Sein mittlerer Sohn wurde beleidigt in der Schule. Sein Vater sei ein Idiot, hiess es. Doch Lukas Madörin kann nicht anders: «Ich bin ein ADHS-Kind», sagt er, rückt hibbelig seine Brille zurecht, lächelt verlegen. Sein Umfeld riet ihm dringend vom Wahlkampf ab. «Das tut dir nicht gut», sagten diese. Doch: «Es ist einfach meine Leidenschaft. Ich brauche die Reize, auch wenn es für meinen Kopf und Körper ein Kampf ist.» Kurz vor fünf stand er vor der Stadtverwaltung. Fünf Minuten blieben ihm, um seine Kandidatur einzureichen oder auf den Rat seiner Freunde zu hören. «Ich rief meine Frau an, fragte sie, ob ich es wirklich tun soll. Sie bestärkte mich. Also tat ich es.» Ein bisschen «Lukas» täte dem Weinfelder Stadtrat gut, meint er. Nicht alles zerreden, sondern reagieren: «Wenn ich jemanden beobachte, der mit dem Rollator nicht über eine Trottoirschwelle kommt, würde ich den Strassenmeister anrufen und schauen, wie man eine Lösung finden kann.» Diskutieren sei gut, doch manchmal müsse man einfach auch mal entscheiden können. Ob er nicht glaubt, dass er anecken würde bei seinen Stadtratskolleginnen- und Kollegen: «Wahrscheinlich schon», sagt er nüchtern. Doch wenn Lukas Madörin etwas kann, dann sich selbst treu bleiben. Seine Authentizität ist fast schon erschlagend, doch auch bewundernswert. Man weiss, an was man bei Lukas Madörin ist. Seine politische Erfahrung ist unbestritten. Er weiss, wie man sich für eine Sache einsetzt, kennt die politischen Gänge und als langjähriger Stadtparlamentarier weiss er, was in Weinfelden Thema ist.
Frisch in der Politik aber mit Schwung gestartet
René Ramseier hätte vielmehr eine Kandidatin oder einen Kandidaten seitens der GLP erwartet. Nicht jemand aus der gleichen Fraktion. Dass Lukas kandidiert, überrascht ihn zwar nicht, doch er hatte ihn nicht auf dem Schirm. Der gebürtige Stadtzürcher überlegt, bevor er spricht, seine Worte sind wohlgewählt, seine Haltung reflektiert. Aber nicht minder sympathisch und nahbar. Als Stadtrat sei man kein Einzelspieler. «Es ist eine Kollegialbehörde, wo es starke Stimmen braucht, man nach der Sitzung aber die gemeinsam erarbeitete Meinung vertritt. Ohne Wenn und Aber.» Obwohl der Unternehmer erst drei Jahre Politikerfahrung auf dem (breiten) Buckel trägt, fasste er schnell Fuss in der Legislative. Als Stadtparlamentarier wurde er zum Präsidenten der Geschäftsprüfungskommission gewählt, hat seither Einblick in die Zahlen, in das Wirken der Stadt.
Wechsel in den Ressorts möglich
Als Präsident des Gewerbevereins Weinfelden und Umgebung kennt er die Wichtigkeit der KMUs in Weinfelden. «Geht’s den Unternehmen gut, kommt dies der Bevölkerung zugute», ist einer seiner Leitsätze. Als gelernter Elektroinstallateur, oder wie er sich selbst betitelt: «Bau-Chnuschti» liegt ihm der Hoch- und Tiefbau, wie auch das Thema Sicherheit. Lukas Madörin hingegen würde sich im Ressort Soziales oder Kultur, Tourismus und Sport wohl fühlen. Die beiden können sich vorstellen, dass es eine Rochade in den Ressorts geben wird. Beide sind sich einig darüber, dass man sich aber in jedes einarbeiten könne. Wenn auch nicht viel, doch eine Sache verbindet die Männer: Sie sind beides Unternehmer. Ihre Selbstständigkeit käme Ramseier wie auch Madörin beim Zeitmanagement entgegen. Das Pensum bewegt sich zwischen 20 und 30 Stellenprozent. Als ihre eigenen Chefs wären sie flexibel. Der Tag von beiden beginnt früh. Der einstige Bodybuilder René stemmt um 5.45 Uhr im Fitnessstudio Gewichte. Um dieselbe Zeit räumt Lukas die Gemüseregale ein. Beide sind Väter von Jungs im ähnlichen Alter. Madörin ist der bodenständige Landwirt, der Verkäufer, der das Familienunternehmen erfolgreich führt, innovativ ist, ein fürsorglicher Chef, der oftmals mehr auf sein Herz als auf den Verstand hört. René Ramseier hat eine Ausbildung als Elektroinstallateur gemacht, studierte danach Informatik, Betriebswirtschaft und holte mit 54 Jahren noch einen Master in Leadership und Management nach. Einfach um neue Führungsmodelle kennenzulernen und zu verstehen. Er sähe sich im Stadtrat unter anderem als Drehscheibe, als Vermittler, als jemand, der zuhört und pragmatische Lösungen sucht. Seit September 2024 ist er gemeinsam mit einem Partner selbstständig als Coach und Mentor unterwegs. «Keine Lebensberater» sagt er und lächelt. Vielmehr übernimmt er Aufträge wie die Begleitung von arbeitssuchenden Ü50-Jährigen. Engagiert vom Amt für Wirtschaft. So verschieden sie auch sind: in einer Sache sind sie sich kompromisslos einig: Sie wollen, dass es Weinfelden gut geht. Dass die Einwohnerinnen und Einwohner eine hohe Lebensqualität haben, die Wirtschaft läuft und die Stadt eine positive Aussenwirkung hat. Nun hat Weinfelden die Wahl. Wollen die Wählerinnen und Wähler den charismatischen Querdenker oder den überlegten Taktiker im Stadtrat?
Von Desirée Müller